Bildlexikon von Uwe Lüthje
und Dr. Horst Otto Müller


Wander/-Reisefotograf
Die
offizielle Bezeichnung lautete:

'Photographiebetrieb im Umherziehen')
Bald nachdem im Jahr 1839 das erste fotografische Verfahren bekannt wurde, entstanden in den größeren Städten erste feste Fotoateliers. Allerdings gab es dort oft nicht unerhebliche Schwierigkeiten und Hemmnisse im Vorfeld einer Niederlassung (z. B. den Zwang zum kostenpflichtigen Erwerb des Bürgerrechts, Mindestalter, mehrjährige vorherige Ansässigkeit in der betreffenden Stadt als Voraussetzung, ein gewisses Vermögen sowie günstig lautende Zeugnisse).

Auch aufgrund dieser Hürden machten sich einige Fotografen lieber mit einer mobilen Ausrüstung auf, um Kundinnen und Kunden vor Ort aufzusuchen. Besonders in kleineren Orten entschlossen sich Lichtbildner, entweder ständig oder zeitweilig unterwegs zu arbeiten, also als 'Wanderfotograf' zu sein. In ländlichen Gegenden hielt sich diese Berufsvariante bis weit in das 20. Jahrhundert.

Lichtbildner erschlossen sich zum Beispiel auf Volksfesten oder Jahrmärkten ein Kundenpotential, das sie mit einem stationären Atelier nicht erreichen konnten. Die Wanderfotografen fanden oft temporäre Aufnahme in Gasthäusern, wie zeitgenössische Annoncen offenlegen.

Allerdings geht das Gleichungspaar: Stadt/Zwang, Land/Freiheit nicht glatt auf: wandernde Fotografen waren - wie Hausierer - gezwungen, ihren jeweiligen Aufenthalts an einem Ort zeitlich zu begrenzen, was behördlich strikt festgelegt war. So spiegelt der Satz in der Annonce: "bin nur noch wenige Tage hier" nicht nur Wunsch des Fotografen wider, durch die zeitliche Verknappung zusätzlichen Anreiz zum Besuch des ambulanten Handels zu schaffen.

Die sicher ab und an existierende völlige Freiheit wurde limitiert durch äußere Einflüsse, so durch die Beschaffenheit des Wegenetzes, auf dem die Umherziehenden ihre fragile Fracht mit einem Fotowagen voranbringen mußten, dazu kam die ständige Abhängigkeit vom Wetter bei den Festivitäten, auf denen sie ihren mobilen Stand aufbauten usw.

Trotzdem überwog für viele die Chance, sich über die Sommermonate ein Klientel zu erschließen, das auf anderem Weg nicht erreichbar gewesen wäre.

Jens Jäger schreibt im Kapitel 'Das photographische Gewerbe in den deutschen Staaten': "In Flensburg und Lübeck sind feste Ateliers ab 1843 nachweisbar, in Kiel bestand bis 1847/48 kein Atelier länger als neun Monate. Bis zum Ende der 1840er Jahre ist das Photogewerbe vornehmlich wandernd ausgeübt worden." (S. 71). In: Gesellschaft und Photographie. Formen und Funktionen der Photographie in Deutschland und England 1839-1860. :Sozialwissenschaftliche Studien, Heft 35. Wiesbaden: Springer Fachmedien GmbH., 1995.

Mehrfach findet sich die Situation, daß neben einem festen Atelier auch eine ambulante Auftragsabwicklung existierte, etwa, wenn der Fotograf anbot, zum Kunden nach Hause zu kommen, um dort zu arbeiten, was von Vielen als ungekünstelte Aufnahmesituation angesehen und geschätzt wurde.

Soziologisch interesserant sind die Aufnahmen von Wanderfotografen oftmals durch den Umstand, daß auch Erwachsene und Kinder der mittleren und unteren Schichten ins Bild gelangen, was in einem mondänen Fotoatelier einer größeren Stadt unwahrscheinlicher oder sogar undenkbar gewesen wäre. Das Fehlen von standardisierten Kulissen gutbürgerlicher Prägung (wie der langzeitlich üblichen Hintergrundtapete, dem Klingelzug und einer Balustrade) trug ebenfalls zu einer authentischen, nichtgeschönten Aufnahme bei. Auf der anderen Seite kostete auch ein Lichtbild eines Wanderfotografen Erhebliches, und man ging natürlich zu diesem seltenen Ereignis 'in feinem Zwirn': "De Sunndag, wemm fein angedohn sinn, losse merr uus abnehme - Am Sonntag, wenn wir gut angezogen sind, lassen wir uns fotografieren.") In: G. Walter Diener / Willy Born: Hunsrücker Volkskunde, 1925, Reprint: Wiesbaden: Weidlich 1984, S. 50.

Außer den 'heimischen' Wanderfotografen bemühten sich auch ausländische Lichtbildner um zusätzliche Einkünfte, so der in London beheimatete Ralph Grimm, der 1860 zunächst einige Wochen in Hamburg, dann aber auch in Altona seine Dienste anbot (wobei die Kundschaft in Altona wohl so zahlreich war, daß er sich im August 1860 entschloß, dort Fotokurse zu geben).
 
 
 
Ende des 19. Jahrhunderts konstruierte die Hannoversche Wagenfabrik Bösenberg & Henke ein 'fahrbares photographisches Reise-Atelier': "Den Herren Photographen ist es hierdurch möglich, an jedem Platze ohne feststehende Ateliers [...] sich niederzulassen, das Geschäft abzuwickeln und dann ohne größere Umstände weiterzuziehen." Im Inneren befanden sich alle Vorrichtungen, die ein Fotograf benötigte, so "ein Dunkelraum, einen Quadratmeter groß, mit Bade-Einrichtung, Wasserbasin mit einem Schlauch und Abflußrohr".  In: Komet Nr. 482. 1893/94. Zitiert nach: Gabriele Klunkert, Schaustellungen und Volksbelustigungen [...]. Göttingen: Cuvillier, 2010, S. 329f.

Leerfläche
Stellvertretend für viele andere Annoncen werden hier 3 Anzeigen von (temporären) Wanderfotografen wiedergegeben, die sämtlich aus dem August 1861 stammen.
Leerfläche
400080 - Eckernförder Zeitung vom 10. 08. 1861 - Detail
Eckernförder Zeitung vom 10. 08. 1861
Leerfläche
400080 - Eckernförder Zeitung vom 21. 08. 1861 - Detail
Eckernförder Zeitung vom 21. 08. 1861
Leerfläche
400080 - Eckernförder Zeitung vom 24. 08. 1861 - Detail
Eckernförder Zeitung vom 21. 08. 1861
 
 
Eine weitere Option für eigentlich ortsfeste Fotografen war es, sich an einem Sonntag anderswo weitere Kunden zu erschließen, wie das folgende Beispiel des Fotografen J. G. Koch verdeutlicht:
 
120708 - Heide Koch - Annonce - Wesselb. Marschbote_384px
Dithmarscher Bote - Wesselburener Marschbote, Januar 1875
Leerfläche

*