Bildlexikon von Uwe Lüthje
und Dr. Horst Otto Müller


Werkstattbericht
Konzept/Bildpräsentation


Uwe Lüthje: Wie Alles begann ...
Zur Entstehung (m)einer Sammlung

Seit mehr als 40 Jahren interessiere ich mich für die Frühzeit der Fotografie in Schleswig-Holstein, Lübeck und dem Herzogtum Lauenburg. Bei einem Kieler Trödler habe ich Anfang der 1980er Jahre meine ersten Fotografien im Carte de Visite Format (CdV) gekauft. Um 1992 besuchte ich im 'Stralsund Museum' eine Sonderausstellung zum Thema "Porträtfotografien", war sofort fasziniert von der Anmut/Schönheit vieler Exponate. Den die Ausstellung begleitenden Katalog habe ich gleich gekauft. Diese beiden Eckpunkte kennzeichnen den Beginn meiner umfangreichen Sammeltätigkeit, die bis heute anhält.

An den kleinformatigen CdV reizten mich außer der Darstellung der Personen die oft phantasievoll bedruckten Rückseiten (Revers), auf denen sich häufig große Ateliergebäude, Putti und vielfältig ausgestaltete symmetrische Rahmenornamente befinden. Da mehrere Porträtmaler versuchten, ihren Verdienst durch Erträgnisse aus der Lichtbildnerei zu verbessern, ließen sie oft ihr Werkzeug (Malpinsel, Palette) oder fotografische Utensilien abbilden. Wurde ihnen eine Medaille verliehen anläßlich einer Sonderausstellung oder Leistungsschau, bildeten sie oft BEIDE Seiten ab, was dann gerade bei wenig Medaillen nach deutlich "mehr" aussah.

Alte Fotografien waren zu der Zeit noch kein Sammelobjekt, die Nachfrage war gering und die Preise dementsprechend niedrig. Mittlerweile umfasst meine Sammlung mehr 760 Fotografien, vorwiegend im CdV- und im später entstandenen Cabinett-Format aus allen Teilen Schleswig-Holsteins aus der Zeit von 1850 bis 1880.

Mich interessierten aber von Beginn an auch die Frauen und Männer hinter der Kamera. In der sehr frühen Zeit dominierte die Daguerreotypie die Lichtbildkunst.

Darüber hat der Fachmann auf diesem Gebiet, Uwe Steen (1938-2002), im Jahr 1987 einen ausführlichen Aufsatz „Die Anfänge der Photographie in Schleswig-Holstein 1839-1848“ verfasst.[1] Zwei Jahre davor hatte der Kunsthistoriker Jan Siefke Kunstreich (1921-1991) „Frühe Photographen in Schleswig-Holstein“ veröffentlicht.[2] Aus der großen Anzahl verfügbarer Namen hat er etwa 50 Fotografen ausgewählt, die mit einem eigenen Atelier in den Städten und Ortschaften präsent waren. Sie werden in mehr oder weniger kurzen Biografien vorgestellt. Beispiele für weitere fotohistorische Regionalforschung fand ich in lokalen Zeitschriften und Jahrbüchern.

Während die Sammlung sukzessive an Umfang und Vielfalt zunahm, wurde mir bewußt, daß sich eine umfängliche Präsentation in Buchform nicht realisieren läßt; da erschien die Idee, den nahezu kompletten Bestand in Form einer umfangreichen Homepage zugänglich zu machen, attraktiv.

Das Anliegen unseres Fachlexikons ist es, die Ausbreitung der Fotografie in Schleswig-Holstein zu beleuchten und erstmalig die vielen, meistens mittlerweile unbekannten Lichtbildner, die zwischen 1850 und 1880 im Land und den Städten aktiv waren, in Biografien und mit Fotografien aus ihren Ateliers vorzustellen und sie so vor dem Vergessen zu bewahren. Sehr häufig existierten diese meistens nebenberuflich unterhaltenen Ateliers nur für eine kurze Zeit.

Dementsprechend selten sind Fotografien aus diesen Lichtbildwerkstätten. In dem bewußt gewählten  Betrachtungszeitraum (nach 1880 "explodierte" die Zahl der Fotografinnen und Fotografen dank der immer stärkeren Verbreitung trockener Gelantineplatten, die im Gegensatz zu den zuvor üblichen nassen Kollodiumplatten auch vor Belichtung und Entwicklung lagerfähig waren) lassen sich bislang bereits 360 Fotografinnen/Fotografen in Schleswig-Holstein nachweisen.

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[1] STEEN, Uwe: „Die Anfänge der Photographie in Schleswig-Holstein (1839-1848)“. In: 'Nordelbingen‘. Heide: Westholsteinische Verlagsanstalt Boysen & Co., Band 56, 1987, Seite 101-150.
[2] KUNSTREICH, Jan S. „Frühe Photographen in Schleswig-Holstein“. :Kleine Schleswig-Holstein- Bücher. Heide: Westholsteinische Verlagsanstalt Boysen & Co., 1985.



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Bildpräsentation
 
Angesichts eines sehr umfangreichen Bildfundus' stand von Beginn an die Frage im Raum, in welchem Erhaltungszustand die vorhandenen Fotografieren, die zum Teil sehr erkennbar an den Fährnissen der Zeitläufte gelitten haben (Kontrastverlust, Eckenbeschnitt, damit die Fotos ins Album passen, Kratzer usw.) wiedergegeben sollten.

Die Frage war die nach einer "historisch korrekten" Wiedergabe, die nicht ganz leicht beantwortet werden kann. Eine sehr geschätzte Fachkollegin, Frau Ann Vibecke Knudsen, äußerte uns gegenüber 2021 gesprächsweise, daß sie jeglichen Eingriff in die Weise, wie sich eine Fotografie heute präsentiert, bereits für eine Manipulation hält, die sie strikt ablehnt, ist also der Auffassung, daß sie einer authentischen Wiedergabe dadurch nahekommt, daß sie exakt Dasjenige unverändert abbildet, was heute (noch) vorhanden ist.

Wir verstehen diesen Standpunkt, haben uns aber anders entschieden, glauben zu wissen, daß die damaligen Fotografinnen und Fotografen versucht haben, ihren Kundinnen und Kunden für die Einforderung ihrer zum Teil ja nicht unbedeutenden Honorare makellose Erzeugnisse abzuliefern (das dokumentierten sie dutzendfach auf den Rückseiten ihrer Carte de Visite, z. B. durch den Eindruck: "Nur völlig gelungene Aufnahmen werden abgeliefert"), was unserer Meinung nach eindeutig für ein Vorhandensein des Gefühls für Bildwürde spricht.

Wenn diese Fotografien später zu stark dem Licht ausgesetzt wurden, lange ohne schützenden Glasrahmen auskommen mußten oder mangels anderer Papiervorräte (von Kindern) bekritzelt wurden, ist das historisch so gewachsen, aber weder ein Verblassen noch z. B. schwarze Fliegenkot-Punkte auf den Abzügen entsprachen den ursprünglichen Intentionen der Lichtbildner, so dass ein Belassen der Schäden nur scheinbar historische Korrektheit einschließt.

Wir verstehen daher die in diesem Lexikon zum Teil mit digitalen Hilfsmitteln sorgsam kurativ behandelten Aufnahmen als Versuch, die nach der jeweiligen Aufnahme entstandenen Bildschäden behutsam zu tilgen, um die historischen Fotografien so zeigen zu können, wie sie intendiert waren.
 
Zeit-Orts-Rahmen
 
Die Begrenzung auf drei Jahrzehnte erfolgte aus der nüchternen Überlegung heraus, daß es uns - allein vom Arbeitsaufwand her - nicht möglich sein würde, die ab ca. 1880 stark ausufernde Zahl an Fotografinnen und Fotografen in toto zu erfassen. Aus den gleichen Überlegungen heraus haben wir uns entschieden, den Bereich "Lichtbildnerei in der Hansestadt Hamburg" bewußt auszuklammern.

Die Vorzüge der Trockenplatte ließ die Anzahl an Ateliers zumindest in den größeren Ansiedlungen enorm anwachsen, auch stellte sich sukzessive eine erkennbare Form von  (standardisierter) Professionalität ein, sicheres Zeichen dafür, daß die Frühzeit der Fotografie mit ihren oft tastenden, experimentellen Methoden zu ihrem natürlichen Ende gelangt war.

Ein prägnantes Beispiel für diese Entwicklung: 1880 erschien im offiziellen Altonaer Adreßbuch neben einer Auflistung der damals tätigen Lichtbildner erstmalig auch die Rubrik: "Photographische Tischlerei", also ein Hinweis auf einen Fachbetrieb, der für Fotoateliers benötigte Utensilien und Einrichtungsgegenstände entweder herstellte oder beschaffte (Ähnliches gilt für Kulissen und Alben).
 
800000 - Altonaer Adressbuch für 1880_detail
Altonaer Adreßbuch für 1880, S. 181.
 




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