Bildlexikon von Uwe Lüthje
und Dr. Horst Otto Müller



Nutzen der Fotografie
- Eine Einschätzung von 1863 -

 

Fotografien sind aus der heutigen Zeit nicht mehr wegzudenken. Vor 160 Jahren sah das anders aus, und es ist spannend, sich vor Augen zu führen, wie Fachautoren dieses Medium damals einschätzten.
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Kneffel - Autorenportrait - Handbuch der pract. Photographie
Ludwig Gustav Kleffel. Autorenportrait. In:
Handbuch der practischen Photographie,
Leipzig: C. F. Amelang's Verlag, 1864.
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1863 schrieb Ludwig Gustav Kleffel hierzu: "Als vor 25 Jahren DAGUERRE in Paris seine grosse Entdeckung machte, waren Neugierde und Erstaunen die Gefühle, welche uns überkamen; aber wir ahneten damals noch nicht, welchen grossen Nutzen diese Entdeckung für die Welt haben würde. Heut zu Tage giebt es vom Nord-bis zum Südpol und von Ost zu West fast keinen Winkel der Erde mehr, wohin nicht die Photographie mit ihrem neuen Lichte gedrungen wäre; und nur wenig bedeutende Städte mögen sich finden, wo dieselbe nicht ihren Wohnsitz aufgeschlagen hat, praktisch geübt wird und eine reiche Erwerbsquelle geworden ist; und wenn auch die Neugierde verschwand, so ist doch das Erstaunen über Das, was sie wirkt und leistet, geblieben und in stetem Zunehmen begriffen.

Durch diese herrliche Wissenschaft und ihre Träger ist uns der Einblick in Gegenstände, von denen wir früher keine Ahnung hatten, gestattet worden.

Die Spuren längst von der Erdoberfläche verschwundener Generationen werden DURCH SIE in ihrer ganzen Grösse und Herrlichkeit, und in den kleinsten und getreuesten Details, unserem Auge vorgeführt; und für eine Aus- (S. 1/2) gabe von einigen Groschen sind wir im Stande, uns, besonders mit Hülfe des Stereoskops, den getreuen Anblick aller Kunstschätze und Naturschönheiten der Erde in unserem stillen Zimmer zu verschaffen.

Aber diese grosse Gabe erstreckt sich nicht allein auf irdische Gegenstände; nein, ihre Kraft geht weit über die Grenzen unserer Erdkugel hinaus; denn mittelst Anwendung des Teleskops sind in neuester Zeit die Bilder des Mondes und der Planeten mit der grössten Schärfe auf die Platte gezeichnet worden.

DURCH SIE sie wird dem Alterthumsforscher, dem Architekten, dem Mechaniker und dem Geometer seine Arbeit leicht gemacht und die so mühseligen und zeitraubenden Zeichnungen von complicirten Maschinerien, von mit Ornamenten und Schnörkeleien überladenen Kirchen und Palästen der Vorzeit, zu denen oft jeder Zugang fehlt, werden jetzt nur dem Lichte überlassen. Mit dem Zirkel und dem Griffel in der Hand hat der Künstler dann nur nöthig, die auf das Genaueste wiedergegebenen Verhältnisse zu messen und zu verzeichnen.

Für den Maler und Zeichner ist sie von unschätzbarem Werthe, da sie, stets das getreueste Conterfei des Originals gebend, ihnen hülfreiche Hand leistet, ihre Skizzen zu entwerfen und ihre Modelle auf das Papier zu fesseln.

DURCH IHRE Hülfe wird die sonst dem Auge nicht sichtbare mikroskopische Welt ebenfalls dem Papiere eingeprägt, und ihre Wunder werden für Jeden zugänglich gemacht, der nicht mit den Mitteln versehen ist, sich die zweckdienlichen, theuern Instrumente verschaffen zu können; - DURCH IHRE Hülfe wird uns die Zauberwelt der Tropen erschlossen; der Urwald mit seinen gigantischen Gewächsen und malerischen Verschlingungen, dem plumpen Elephanten, dem zum Sprunge ansetzenden Königstiger (S. 2/3) und dem scheusslichen Krokodile; - der feuerspeiende Berg und der von Absatz zu Absatz tosende Katarakt; das wild brausende Meer mit seinen Brandungen, seinen vom Sturme gejagten Schiffen und seinen Wundern der Tiefe!

DURCH IHRE Hülfe wird es uns leicht gemacht, alte Handschriften, Urkunden, Federzeichnungen und Karten mit der grössten Schärfe und Genauigkeit, so dass kein Auge im Stande ist, die Copie von dem Originale zu unterscheiden, wiederzugeben und zu vervielfältigen, und sie dadurch zu Jedermanns Einsicht zu bringen; und DURCH IHRE Hülfe wird die Nachwelt ein getreues Abbild unserer Zeiten und Tage bekommen! Der Historiker wird, während er die Geschichte vergangener Tage von Geschlechtern und Individuen, die lange vermodert sind, niederschreibt, im Stande sein, ihnen gewissermassen in's Antlitz zu schauen, indem er ihre getreuen Züge, ihre Trachten, ihre Geräthschaften dabei benutzen kann!

Und Alles Das sind Vortheile und Freuden, welche wir dieser herrlichen Wissenschaft zu verdanken haben; - allein wenn wir seit der kurzen Zeit, welche seit ihrer Entdeckung vergangen ist, schon so viel gethan haben, so bleibt doch gewiss noch viel mehr zu thun übrig; denn die Wirkungen des Lichtes, der Wärme und der Elektricität sind noch lange nicht so hinreichend erforscht und bekannt, dass wir nicht die Hoffnung hegen dürften, neue Entdeckungen zu machen, von welchen wohl heute Niemand eine Ahnung hat. Schreiten wir desshalb rüstig und unverdrossen fort auf der vorgezeichneten Bahn, nicht ausser Acht lassend die geringfügigsten Vorkommnisse und Abweichungen, welche bei Ausübung des Processes sich uns darbieten; denn nur zu oft werden gerade diese Quellen grosser, neuer Wahrheiten!"
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