Bildlexikon von Uwe Lüthje
und Dr. Horst Otto Müller


Frühe Beurteilung der
künstlerischen Qualität
der Carte de Visite-Fotografien

Anläßlich der großen "Internationalen photographischen Ausstellung,

400410 - Der Forscher - 1868 - Seite 384 Detail
In: Lemling, Joseph (Hrsg.): Der Forscher auf dem Gesammtgebiete der praktischen Fotografie, II. Halbband. Neuwied/Leipzig: Verlag der H. J. Heuser‘schen Buchhandlung, 1868, S. 383f. Hier: Seitenausschnitt.
Der namentlich nicht genannte Autor begründet in seinem Aufsatz,
der im Inhaltsverzeichnis unter dem Stichwort "Visitenkartenmode und ihre Folgen" erscheint, den sukzessiven Niedergang der photographischen Qualität mit dem fehlenden Bestreben der Fotografen, zumindest versuchsweise eine künstlerische Aussage in jede Aufnahme einzubringen. Statt dessen erkennt er bei den meisten Darstellungen lediglich steif und leblos stehende hölzerne Gliederpuppen, die schnellmöglichst abgefertigt werden sollen.

Außerdem ist er der Auffassung, daß zu viele Fachfremde sich der Lichtbildnerei gewidmet haben: "... wenn nun das Geschäft oder Handwerk, welches man ursprünglich gelernt hatte, nicht mehr gehen wollte, oder man in demselben nicht schnell genug ein Vermögen erwerben konnte, so glaubte man dies durch die Eröffnung eines photographischen Instituts zu erzielen. [...] Ohne einen Begriff von Photographie zu haben, wurde nun ein photographisches Institut eröffnet, man engagierte einen Operateur, einen Retoucheur, die Apparate, Objective und Chemikalien wurden gewöhnlich auf Wechsel oder Theilzahlungen genommen, möglichst viele Schaukästen ausgehängt und alle Mittel in Bewegung gesetzt, ums Publikum zur Aufnahme heranzuziehen. Die photographischen Visitenkarten vermehrten so recht diese Ateliers [,,,]. [S. 384f.]

Er zieht das Fazit: "Der Zustand und Geschäftsbetrieb der heutigen Photographen kann daher überwiegend als eine ausgebildete Stümperei bezeichnet werden, weil ihnen die gründliche Basis von Kenntnissen fehlt, welche dazu nothwendig sind." [S. 386]

400410 - Der Forscher - Seite 386 - Detail
Der Forscher ..., a. a. O., S. 386, Detail.
Ein hier nicht genannter Grund für die unkünstlerische Art der Abbildung auf Carte de Visite-Fotografien bildete sicherlich der (zunehmende) Preisdruck, der sich in zahllosen Annoncen findet, meist im Tenor von: "Noch nie so billig wie jetzt", "Um aufzuräumen mit der Photographie" oder "Unter Einkaufspreis!"

In einer (fiktiven) Unterredung sprechen ein Meister Gradaus, Herr Denkmann und Herr Schroff über das Thema "Kann es jemals für die Erwerbsphotographie [wieder] besser werden?"

Denkmann hat eine Zeitung vor sich liegen, welche die Anzeige eines Photographie-Instituts oder fotografischen Ateliers in riesigen Buchstaben gedruckt enthält und die Schlagzeile: 'Fortschritt! Fortschritt! Fortschritt muss sind!' [also: 'stattfinden']
 
Der Forscher - 1868 - Seite 279 - Detail
Der Forscher ..., a. a. O., S. 279, Detail.
 
 
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